Das Jüdische Museum Frankfurt widmet sich Hannah Arendt in einer aktuellen Ausstellung – Von Nikola Herweg
Als der israelische Künstler Shy Abady 2003 zufällig mit der Kuratorin des »Tel Aviv Profile«-Projektes ins Gespräch kam, erzählte diese ihm von der Ausstellung, die 2004 zum 95. Geburtstag der Stadt Tel Aviv, stattfand. 240 Porträts würden zu sehen sein von berühmten Menschen, die ihre Namen den Straßen Tel Avivs geliehen hatten. Ob Hannah Arendt dabei sei, fragte Shy Abady. Die Antwort war nein. Denn während kein Kompendium der Philosophiegeschichte es sich leisten kann, die bedeutende Denkerin außer Acht zu lassen, gibt es in Tel Aviv keine einzige Straße, die nach der sicher bedeutendsten Jüdin des 20. Jahrhunderts benannt ist.
Ein Zufall? Wohl kaum. Hannah Arendt wird wenig geliebt in Israel. Die Beziehung mit ihrem Lehrer Martin Heidegger, dessen Verhalten während des Nationalsozialismus exemplarisch den Sündenfall der deutschen Intellektuellen verkörpert, und von dem sich Arendt auch nach 1945 nicht wirklich distanzierte, und mehr noch das Buch »Eichmann in Jerusalem« – ein Bericht von der Banalität des Bösen (man warf ihr vor, Eichmanns Taten zu verharmlosen) – hat man ihr übel genommen. Vor allem aber wurde sie von der israelischen Gesellschaft deshalb abgelehnt, weil sie sich weigerte, die absolute Rechtfertigung des neuen jüdischen Staates und die damit verbundene Zementierung der Opferrolle anzuerkennen.
Dabei machte sich Arendt durchaus verdient um Judentum und Zionismus. Zu Beginn der Nazidiktatur diente ihre Berliner Wohnung als Zwischenstation für Flüchtlinge, was im Juli 1933 zu einer Verhaftung durch die Gestapo führte. Wenig später flüchtet sie selbst, arbeitete erst in Paris, ab 1940 in New York für verschiedene jüdische Organisationen und begann politische Aufsätze zu verfassen. Im Frühjahr 1961 beobachtete sie als Reporterin der Zeitschrift »The New Yorker« den in Jerusalem stattfindenden Prozess gegen den Naziverbrecher Adolf Eichmann, woraus das besagte, umstrittene Buch »Eichmann in Jerusalem« (1963) hervorging.
Arendts wohl wichtigstes Buch beschäftigt sich mit den Ursprüngen des Totalitarismus »(Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft«, 1951), ihr Gesamtwerk stellt einen bedeutenden Beitrag zur politischen Philosophie dar. Sie selbst indes lehnte es ab, als »Philosophin« bezeichnet zu werden, spricht sie doch dem Philosophen die Neutralität gegenüber der Politik ab. Sie hat ihre Gründe.
Affäre mit Martin Heidegger
1924 nimmt die 1906 in Hannover geborene Hannah Arendt ihr Studium der Philosophie in Marburg auf und verliebt sich in ihren Lehrer Martin Heidegger. Die Studentin und der 17 Jahre ältere zweifache Familienvater beginnen eine Affäre, die, auch nachdem Hannah Arendt ein Jahr später auf Heideggers Anraten hin nach Freiburg wechselt und Edmund Husserls Schülerin wird, weiter besteht. Heideggers berühmtes Werk »Sein und Zeit« soll durch seine junge Geliebte inspiriert worden sein. Später geht Arendt nach Heidelberg und promoviert 1928 bei Karl Jaspers. Heidegger hat die Beziehung zu ihr inzwischen abgebrochen, was Anlass dafür sein mag, dass Arendt beginnt, sich intensiv mit deutsch-jüdischer Identität auseinander zu setzen – so entsteht etwa ein Buch über Rahel Varnhagen – und in eine Ehe mit dem ungeliebten Günther Anders flüchtet.
1933 übernehmen die Nationalsozialisten die Macht und Hannah Arendt muss mit ansehen, wie Heidegger den politischen Umschwung begrüßt. Sie schreibt ihm immer wieder, er reagiert nie. Erst auf unangenehme Fragen hin zu seinem Verhalten gegenüber jüdischen Studenten und Kollegen fühlt er sich bemüßigt, eine Antwort zu schicken. Wütend weist er jeden Verdacht des Antisemitismus’ von sich.
Ob das Hannah Arendt überzeugt hat? Jedenfalls nimmt sie, die inzwischen in den USA zu einer gefragten Journalistin und Essayistin geworden und in zweiter Ehe mit dem Dichter Heinrich Blücher verheiratet ist, 1949 wieder Kontakt zu Heidegger auf. Hannah Arendts Werk hat sich derweil von ihrem ersten Lehrer emanzipiert. Ihr Erfolg stößt bei ihm auf Missgunst, ihre Schriften teilweise auf Ablehnung: wenn sie etwa in »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« den Nationalsozialismus mit dem Kommunismus gleichsetzt und damit indirekt Heideggers Verteidigungsstrategie – er habe sich der nationalsozialistischen Ideologie nur deshalb zugewandt, da er sich von ihr Rettung vor dem Kommunismus erhoffte – unterminiert. Doch sie hält an der Freundschaft zu Heidegger fest. Mit Unterbrechungen wird diese bis zu ihrem Lebensende fortbestehen. Mancher hat ihr dies nicht verziehen.
Am 4.12.1975 starb Hannah Arendt in New York. Ihr Todestag wird sich also im Dezember zum 30. Mal jähren. 2006 wäre sie 100 Jahre alt geworden. Ein guter Grund, einen genaueren Blick auf die große Kosmopolitin zu werfen – dachte sich auch das Frankfurter Jüdische Museum und holte den israelischen Künstler Shy Abady nach Frankfurt. Denn der hatte, nachdem sein Versuch scheiterte, Hannah Arendt in die Tel Aviver Ausstellung einzubringen, beschlossen, unabhängig davon eine Porträtreihe von ihr anzufertigen.
Mit verschiedenen Techniken hat Abady sich der vielschichtigen und vielgesichtigen Arendt angenähert. Herausgekommen sind eindringliche Porträts aus verschiedenen Phasen ihres Lebens: Die junge Studentin, die noch nichts von Exil und Völkermord ahnt, und in deren Gesicht Abady eine Unschuld sieht, die etwas später – Arendt als Emigrantin in Paris schon mit der obligatorischen Zigarette im Mundwinkel – verschwunden scheint. Ergänzt werden die Porträts durch eine Reihe von fast monochromen Bildern auf Holz, deren vignettengleiche Motive sich teilweise ironisch auf Arendts Biografie und Werk beziehen.
Auftakt zum Jubiläumsjahr
Bis zum 5. Januar ist die kleine, gelungene Ausstellung unter dem Titel »Hannah Arendt Project« im Jüdischen Museum Frankfurt zu sehen. Sie mag als Einstimmung für die sicher zu erwartenden zahlreichen Veranstaltungen im Jubiläumsjahr 2006 dienen.
In deutschen Städten sind übrigens jede Menge Straßen nach der großen Denkerin benannt und in die »Tel Aviv Profile«-Ausstellung hat sie es schließlich auch noch geschafft: Als Shy Abady den Auftrag erhielt, für eben jene Ausstellung den ersten biblischen Künstler zu porträtieren: Bezalel, zu dem es naheliegender Weise keine verlässliche Aufnahme gibt, da nahm er Arendts Konterfei als Grundlage, sodass, als die Portraits zum Stadtjubiläum enthüllt wurden, Hannah Arendt doch – aus Bezalels Gesicht herausblickend – präsent war.