The Hannah Arendt Projekt-Erik Riedel, Judiches Museum Frankfurt am Main 2005 (Katalog)

Shy Abady - Hannah Arendt Project – bei Erik Riedel

1980 schuf Andy Warhol die Siebdruckserie der Ten Portraits of Jews of the Twentieth Century, die unter Verwendung bekannter Fotovorlagen jüdische Persönlichkeiten wie Franz Kafka, Martin Buber oder Sigmund Freud zeigen. Hannah Arendt, obwohl sicherlich die bedeutendste jüdische Protagonistin politischer Philosophie des vergangen Jahrhunderts, fehlt in dieser Serie. Dies ist womöglich kein Zufall, denn durch ihre Nähe zu Heidegger, dessen Freiburger Antrittsrede exemplarisch den Sündenfall der deutschen Intellektuellen während des Nationalsozialismus verkörpert, und vor allem durch ihre Polemik in Eichmann in Jerusalem, wirkt Hannah Arendt bis heute polarisierend.

Wie Warhol benutzt auch Shy Abady für seine Porträtserie The Hannah Arendt Project Fotos als Ausgangsmaterial. Es sind dies bekannte Porträtaufnahmen, die man von Buchumschlägen und Klappentexten kennt, aber auch unbekanntere Fotos der jungen Hannah Arendt. Anders als bei Wahrhol entstehen hier aber keine Pop-Ikonen , Abady versucht vielmehr sich durch die Fotos der Person anzunähern, Intimität herzustellen. Besonders seinen in geradezu altmeisterlicher Sfumato Technik gehaltenen, in ihrer verwaschen Farbigkeit beinahe monochrom wirkenden Porträts gelingt dies auf faszinierende Weise. Diesen ruhigen, fast meditativen Bildern sind einige starkfarbige, expressive Porträts sowie eine Reihe von sieben ebenfalls beinahe monochromer Bilder auf Holz mit vignettenhaften Motiven gegenübergestellt. Letztere zeigen emblematisch Gegenstände und Figuren, die sich auf Arendts Biografie und Werk beziehen.

Diese doppelbödigen Symbole der zerdrückte Zigarettenstummel etwa charakterisiert Hannah Arendt als Kettenraucherin und ist zugleich unprätentiöses Vanitassymbol stellen einen teils ironischen, teils einfühlsam kommentierenden Subtext her. Das Bild Muttersprache zeigt die miniaturhaften Figuren von Mutter und Kind, deren Gesichter geschwärzt und unkenntlich sind. "Es ist", so Hannah Arendt 1964 in einem Fernsehgespräch, "ein ungeheuerer Unterschied zwischen Muttersprache und allen anderen Sprachen. (...) Es gibt keinen Ersatz für die Muttersprache. Man kann die Muttersprache vergessen. Das ist wahr. Ich habe es gesehen. Diese Leute sprechen die fremde Sprache besser als ich. (...) Aber es wird eine Sprache, in der ein Klischee das andere jagt, weil nämlich die Produktivität, die man in der eigenen Sprache hat, ." *abgeschnitten wurde, als man diese Sprache vergaß

In diesem Dezember jährt sich Arendts Todestag zum 30. Mal, 2006 wäre ihr 100. Geburtstag. Zu der Auseinandersetzung mit der vielgesichtigen der Hannah Arendt, der Denkerin, der Aktivistin der Jugendalija und Jewish Cultural Reconstruction Organization, der politischen Analystin und der Emigrantin, die sicherlich in ihrem Jubiläumsjahr eine neue Intensität gewinnen wird, kann Shy Abadys Bilderzyklus ein anregender künstlerischer Beitrag sein.

Erik Riedel, Jüdisches Museum Stadt Frankfurt am Main

* (aus: Fernsehgespräch mit Günter Gaus, 28. Oktober 1964, zit. n. Ursula Ludz (Hg.), Hannah Arendt. Ich will verstehen, München 1996, S. 58f.)