Shy Abadys »Hannah Arendt Projekt«
In Israel ist sie keineswegs eine unumstrittene Persönlichkeit, hatte sie es doch politisch und philosophisch abgelehnt, den jüdischen Staat als Verewigung der Opfer des Holocaust anzuerkennen. Auch ihre Vorstellung von einer kosmopolitischen jüdischen Option und das Bestehen auf einem gemeinsamen Staat von Juden und Arabern trafen im Zionismus auf schärfste Ablehnung. – Der Umstrittenheit von Arendt im eigenen Land durchaus bewusst hat der 1965 in Jerusalem geborene Shy Abady 2003 sein Hannah-Arendt-Projekt begonnen. Für den freien Künstler und Kursleiter Kunst im Museum Tel Aviv bilden Fotos aus verschiedenen Lebensabschnitten das Ausgangsmaterial. Die junge Schönheit Hannah in Deutschland ist ebenso dabei wie die rauchende Philosophin und die alte Dame mit Perlenkette. Auf seinen Bildern jedoch sind die Hintergründe entfernt, stellt Abady das Gesicht in detaillierten Zeichnungen frei in den Bildraum, rückt es in den Anschnitt oder in eine Ecke der Bildfläche und zieht den Blättern in klassischer Anmutung edle Patina ein. In anderen Bildern umgibt oder überzieht er die Gezeichnete mit dunklen Farbflächen und die lasierenden Schichten erzeugen intensivste Leuchtkraft. Daneben setzt Abady dann etwa zwei Bilder mit expressivem Pinselschlag, nennt sie »Days of future passed I« und »German Expressionism«, stellt also kunsthistorische Bezüge her, oder politische, wenn er ein Porträt (die zur Faust gebildete Hand am Kinn der Philosophin) »Totalitarismus« überschreibt. Die thematische Verunsicherung steigert er mit auf Holz ausgeführten »Zwischentafeln«: Eine ausgedrückte Zigarette, der berühmte »Gauloise«Helm, zwei Gewehrkugeln (»European Education«), eine Mutter mit ihrem Kind (»Muttersprache«), deren Gesichter jeweils verdunkelt sind; Abady setzt in diesen »Zwischentafeln« auch einen Brennstab ein. So kontrastieren in dieser eher kleinformatigen Serie klassische Zeichnungstechniken mit Löcherung und Einschwärzung, feinste Papiergrundierungen mit durchscheinenden Holzmaserungen, Porträts mit Symbolen, Einfühlungen mit Suggestionen. – Eine überraschende und überzeugende 18-teilige Ausstellung (bisher im Jüdischen Museum Frankfurt am Main; kleiner farb. Katalog: 25 S., 6,00 € , www.juedischesmuseum.de). Rechtzeitig zum 30. Todestag und zu ihrem 100. Geburtstag im Herbst 2006.
Michael Ackermann